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Warum Theorien wichtig sind

Achtung! Dieser Artikel beleuchtet Theorien Sozialer Arbeit kritisch.

Autor: Phillip Strobl

Was ist eine Theorie?

Eine Theorie ist ein Bild der Wirklichkeit. Prozesse, die in unserer täglichen Praxis ablaufen passieren immer unter gewissen Mustern. (vgl. Folien „Theorien sozialer Arbeit“) Es ist wichtig, dass wir uns diese Prozesse und Theorien immer wieder bewusst machen, um unser Handeln zu hinterfragen. 

Nur durch akkurate, wissenschaftlich überprüfte Theorien kann Handeln in unserer sekulären Welt legitimiert werden. Somit sind auch wir als Sozialarbeitende dazu aufgefordert, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. 

Anderseits gelten Theorien immer als Modelle, die mit einer gewissen Brille auf das Geschehen blicken. Deshalb bedürfen Theorien einer ständigen Aktualisierung und Weiterentwicklung. 

(vgl. Wirtschaftslexion24 2022) 

Wenn sich Theorien im Laufe des Lebens ändern…

Ich bin in einer extremen christlichen Gemeinschaft aufgewachsen. Die Theorien, die mir in meiner Kindheit über die Welt beigebracht wurden, konnte ich erst in den letzten Jahren aktualisieren. Was für mich ein Leben lang eine Sünde und verboten war, war plötzlich erlaubt. Das war für mich ein schwieriger Prozess, der mich jedoch immer meine Handlungsmotive und meine theoretischen Grundlagen für mein Leben und auch für meine Arbeit mit Menschen hinterfragen lässt. 

Meine grundlegende Lebenstheorie lautet: Im Leben geht es um Beziehungen. 

 

Wie stehe ich zu Theorien Sozialer Arbeit? 

Meiner Meinung nach sind die Theorien für soziale Arbeit das A und O. Ich empfinde es in unserer Profession jedoch als besonders schwierig, Theorien isoliert zu betrachten. So ist das nicht wie bei einer physikalischen Theorie, die durch eine Formel immer gleichgesetzt werden kann. In unserer Beziehungsprofession werden die Variablen stetig getauscht, und somit ist es auch schwierig, diese Konzepte als isolierte „Theorien“ zu bezeichnen. 

Eine Theorie ist für mich auch nur sinnvoll, wenn ich sie in die Praxis umsetzen kann. Im Laufe dieser Lehrveranstaltung wurde ein Bogen gespannt, sodass ich ein gutes Grundwissen über wesentliche Theorien und deren möglichen Umsetzungen erlernte.

Theorie = Utopie = Hypokratie ? 

In unseren Lehreinheiten setzten wir uns ausgiebig mit Gerechtigkeit, Gleichheit, Macht und Menschenrechten auseinander. Im Zuge dessen kam ich als Individuum oft zu dem Schluss, dass es keine totale Gerechtigkeit geben kann. 

(vgl. Ziegler et Al. 2012)

Menschen können in ihren Capabilities bestärkt werden, doch ist das wirklich realistisch oder doch utopisch? 

In meinen täglichen Zeitungsrecherchen konnte ich leider die Theorien der sozialen Arbeit nicht mit der politischen und wirtschaftlichen Situation verknüpfen. Viele Menschen können aufgrund von Diskrimierung und struktureller Benachteiligung ihre Capabilities eben nicht nutzen, und müssen um ihr Überleben kämpfen. (vgl. Böhme et Al. 2019) Teilweise werden ihnen auch die letzten Möglichkeiten für grundlegende Menschenrechte wie einen sicheren Schlafplatz genommen, so wie ich das bei der Tour durch das Viertel beim Hauptbahnhof wahrgenommen habe. 

Als ich mich mit der Frage auseinandersetze, welche Konsequenzen es gibt, wenn beispielsweise Menschenrechte nicht geachtet werden, konnte ich zwar theoretisch den Instanzenzug zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nachvollziehen. Jedoch frage ich mich bis heute, ob das wirklich Rechte sind, wenn sie nicht wirklich umgesetzt werden müssen

Warum muss dann zum Beispiel ein Ladendiebstahl auf jeden Fall vor Gericht kommen, während Kinderarmut weiterhin toleriert wird, und durch unsere Politiker*innen weiterhin legitimiert wird?

Im Zuge dieser Auseinandersetzung stellte ich fest, dass es wichtig ist uns als Sozialarbeitende auf diese Theorien zu stützen, und auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene anzusetzen, um sie auch in die Praxis umzusetzen. Die Kunst liegt wohl darin, nicht daran zu verzweifeln, sondern die kleinen Schrittchen zu sehen.

 

Wenn ich mich für eine Theorie entscheiden müsste, dann…

Müsste ich wohl eine Theorie erfinden, die alle Grundlagen zusammenfasst. 

Nein, wenn ich ernsthaft bin, dann muss ich sagen, dass die Theorie der Beziehungsorientierung- und Profession mich am meisten angesprochen hat. Diese besagt, dass wir als Sozialarbeitende immer mit Menschen in Kontakt und Beziehung treten. (vgl. Faltershop 2022) Unsere Arbeit und die Ziele die wir in der Sozialen Arbeit verfolgen können wir nur umsetzen, wenn wir eine hochwertige, vertrauensvolle Beziehung zu unseren Klient*innen aufbauen. 

Besonders in meiner Arbeit in einem Hort für Kinder mit Autismus und anderen Neurodiversitäten wurde mir das bewusst. Solange meine Beziehung zu den Eltern und zum Kind nicht gestärkt waren, konnten und wollten sie meinen social support nicht annehmen. Erst durch Beziehung können Bedürfnisse und Wünsche geäußert werden. Nur wenn wir wirklich in eine Beziehung treten mit Menschen und versuchen sie zu verstehen, können wir ihre Lebensschritte nachvollziehen. 

Da ich als Pflegekind aufgewachsen bin, war ich jahrelang „Klient“ Sozialer Arbeit. Ich fand die Unterstützungsmöglichkeiten, die ich bekam hilfreich und wichtig, doch das ausschlaggebende waren die Beziehungen, die ich dank der Sozialen Arbeit aufbauen konnte. Nur durch das Vertrauen in die Sozialarbeiter und meine Pflegefamilie konnte ich meine Capabilities nutzen und mich weiterentwickeln.

Deswegen möchte ich mir diese Theorie auch für meinen weiteren Lebensweg, diesmal hoffentlich auf der anderen Seite der Beziehung, mitnehmen.

Vielen Dank für die tolle Umsetzung dieser Lehrveranstaltung.

 

Verwendete Quellen:

Theorie – Wirtschaftslexikon. (o. D.). Wirtschaftslexikon24. Abgerufen am 30. Mai 2022, von http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/theorie/theorie.htm

Ziegler, Holger/ Schrödter, Mark/ Oelkers, Nina (2012): Capabilities und Grundgüter als Fundament einer sozialpädagogischen Gerechtigkeitsperspektive. In: Werner Thole (Hrsg): Grundriss Soziale Arbeit. Wiesbaden:  VS Verlag. 297-310.) 

Böhme, C., Ismar, G., Monath, H., Voigt, B. & von Salzen, C. (2019, 10. Dezember). Wo Willkür herrscht : Zehn Länder, in denen die Menschenrechtslage besonders schlimm ist. Tagesspiegel. Abgerufen am 30. Mai 2022, von https://www.tagesspiegel.de/politik/wo-willkuer-herrscht-zehn-laender-in-denen-die-menschenrechtslage-besonders-schlimm-ist/25315736.html

Soziale Arbeit als Beziehungsprofession von Silke Birgitta Gahleitner – faltershop.at. (o. D.). FALTERSHOP. Abgerufen am 30. Mai 2022, von https://shop.falter.at/detail/9783779934776